In den letzten Jahren hat sich das Behandlungsparadigma bei Multipler Sklerose (MS) in Deutschland deutlich verändert. Das zeigt eine aktuelle Auswertung von Krankenkassendaten aus den Jahren 2017 bis 2022, die die medikamentöse Erstbehandlung bei neu diagnostizierten MS-Patienten untersucht hat. Während früher meist mit moderat wirksamen Basistherapien begonnen wurde – im Sinne eines Eskalationsmodells –, zeigt sich nun eine zunehmende Tendenz, direkt mit hochwirksamen krankheitsmodifizierenden Therapien (High-Efficacy Therapies, HET) zu starten.
Die Studie analysierte die Versorgungsdaten von über 12.000 Patienten. Dabei wurde deutlich: Der Anteil derjenigen, die gleich zu Beginn mit einer hochwirksamen Therapie behandelt werden, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Besonders häufig wurde dieser Ansatz bei jüngeren Patienten und bei solchen mit hoher Krankheitsaktivität gewählt. Therapien wie Natalizumab, Anti-CD20-Antikörper und S1P-Modulatoren kommen in der Frühbehandlung inzwischen wesentlich häufiger zum Einsatz als noch vor wenigen Jahren.
Dieser Wandel spiegelt ein wachsendes Vertrauen in den sogenannten „Early High-Efficacy“-Ansatz wider. Ziel ist es, frühzeitig in den Krankheitsverlauf einzugreifen, um die entzündliche Aktivität effektiv zu kontrollieren und langfristige Schäden im zentralen Nervensystem zu vermeiden. Internationale Leitlinien und Fachgesellschaften diskutieren diesen Ansatz zunehmend als neue Standardstrategie bei aktiver MS.
Allerdings bleiben einige Fragen offen. Die Studie weist darauf hin, dass Langzeitdaten zur Sicherheit und Wirksamkeit hochwirksamer Therapien bei frühzeitiger Anwendung in der Breite bislang noch fehlen. Auch individuelle Faktoren wie Alter, Komorbiditäten, Familienplanung und Therapietreue spielen weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der geeigneten Behandlung.
Fazit:
Die Therapieeinleitung bei Multipler Sklerose befindet sich im Wandel. Hochwirksame Medikamente kommen immer häufiger bereits zu Beginn der Erkrankung zum Einsatz – mit dem Ziel, die Krankheitsprogression frühzeitig aufzuhalten. Ob sich dieser Strategiewechsel langfristig in besseren klinischen Verläufen niederschlägt, werden zukünftige Studien zeigen müssen.