In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki
Die pädiatrische Multiple Sklerose (POMS) macht schätzungsweise 3–5 % aller MS-Fälle aus. Sie beginnt meist im Jugendalter und verläuft häufig besonders entzündlich und schubaktiv. Wiederholte Schübe, eine hohe MRT-Läsionslast und frühe kognitive Beeinträchtigungen führen dazu, dass betroffene Kinder und Jugendliche ein erhöhtes Risiko für langfristige Behinderung und neurodegenerative Veränderungen haben.
Frühe, gezielte Immuntherapie ist daher insbesondere bei POMS essenziell, jedoch waren bisher die therapeutischen Möglichkeiten deutlich limitiert.
Bisherige Therapieoptionen bei POMS
Lange Zeit basierte die Behandlung pädiatrischer MS auf Daten aus der Erwachsenentherapie. Die klassischen immunmodulatorischen Basistherapien – Interferon-Beta und Glatirameracetat – waren die einzigen zugelassenen Medikamente und boten nur moderate Wirksamkeit.
Bei hochaktiven Verläufen wurden daher zunehmend off-label-Therapien eingesetzt, darunter Natalizumab, Fingolimod, Alemtuzumab oder Rituximab – meist gestützt auf Einzelfallberichte oder kleine Registerkohorten.
Ein wesentlicher Fortschritt erfolgte 2018 mit der Zulassung von Fingolimod (Gilenya®) für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren auf Basis der PARADIGMS-Studie , die eine deutliche Reduktion der jährlichen Schubrate gegenüber Interferon-Beta-1a zeigte. Damit stand erstmals eine hochwirksame Therapie mit Zulassung speziell für pädiatrische MS zur Verfügung.
Bisherige orale Therapieoptionen: Teriflunomid und Dimethylfumarat
In den letzten Jahren haben zwei weitere Wirkstoffe die therapeutische Landschaft für POMS erweitert:
- Teriflunomid (Aubagio®) erhielt 2021 die EMA-Zulassung für Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren mit schubförmiger MS, basierend auf der TERIKIDS-Studie.Diese zeigte eine signifikant verlängerte Zeit bis zum ersten Schub gegenüber Placebo und ein Sicherheitsprofil, das dem bei Erwachsenen entspricht. Teriflunomid gilt damit als moderat wirksame Option bei stabileren oder weniger aktiven Krankheitsverläufen.
- Dimethylfumarat (Tecfidera®) wurde 2023/2024 in der EU für Jugendliche ab 13 Jahren zugelassen (Studien FOCUS und CONNECT). Auch hier zeigte sich eine gute Wirksamkeit auf Schubraten und MRT-Aktivität bei insgesamt guter Verträglichkeit.
Ocrelizumab im Fokus – B-Zell-Therapie für Jugendliche
Ocrelizumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen CD20-positive B-Zellen, hat sich in der Erwachsenentherapie als eine der effektivsten MS-Therapien etabliert. Es senkt signifikant die Schubrate, reduziert die MRT-Läsionslast und verzögert die Behinderungsprogression. Da die pathophysiologischen Mechanismen bei POMS weitgehend denen der adulten MS ähneln, wurde Ocrelizumab nun auch in dieser Altersgruppe untersucht. In einer aktuellen multizentrischen Studie, vorgestellt auf dem ECTRIMS 2025 in Barcelona, zeigte Ocrelizumab bei Jugendlichen mit hochaktiver MS eine deutliche Reduktion der jährlichen Schubrate sowie eine Stabilisierung der MRT-Aktivität über den Beobachtungszeitraum:
In der prospektiven, multizentrischen Vergleichsstudie wurden 187 pädiatrische MS-Patientinnen und -Patienten untersucht (Ocrelizumab n=93, Fingolimod n=94).
Die Ergebnisse, präsentiert auf dem ECTRIMS 2025, sind bemerkenswert:
- Primärer Endpunkt: Ocrelizumab war nicht unterlegen gegenüber Fingolimod in Bezug auf die jährliche Schubrate (ARR) und zeigte eine Risikoreduktion um 48 % (Rate Ratio = 0,52; 95 %-KI 0,19–1,33). Bereits nach 24 Wochen kam es unter Ocrelizumab zu einer nahezu vollständigen Unterdrückung klinischer Schübe.
- MRT-Endpunkte: Ocrelizumab war signifikant überlegen hinsichtlich der Krankheitsaktivität im MRT:
- 48 % weniger neue oder vergrößerte T2-Läsionen (Rate Ratio = 0,52; 95 %-KI 0,36–0,76; p = 0,001)
- 87 % weniger Gadolinium-anreichernde T1-Läsionen nach 12 Wochen (Rate Ratio = 0,13; 95 %-KI 0,03–0,41; p = 0,001)
Das Sicherheitsprofil entsprach dem aus der Erwachsenentherapie bekannten; schwerwiegende Nebenwirkungen waren selten. Die Mehrzahl der Jugendlichen erreichte über die Studiendauer einen NEDA-Status („no evidence of disease activity“) – also keine klinischen Schübe, keine neuen MRT-Läsionen und keine Progression.Bemerkenswert war, dass ein Großteil der Studienteilnehmer den NEDA-Status („no evidence of disease activity“) erreichte – also weder Schübe, neue MRT-Läsionen noch klinische Progression zeigte.
Klinische Bedeutung und offene Fragen
Die neuen Daten unterstreichen die potenzielle Rolle von Ocrelizumab als hoffentlich zukünftige hochwirksame Off-Label-Option bei POMS, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit hoher Krankheitsaktivität oder unzureichendem Ansprechen auf orale Therapien. Dennoch wird ein elementarer Punkt sein, inwieweit man auch bei POMS dann im Verlauf über eine De-Eskalation der Therapie spricht um nicht über lange Zeiträume dauerhaft die B-Zellen durch Ocrelizumab zu depletieren.
Quellen:
Chitnis T, Banwell B, Kappos L, et al. Safety and efficacy of teriflunomide in paediatric multiple sclerosis (TERIKIDS): a multicentre, double-blind, phase 3, randomised, placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2021;20(12):1001-1011. doi:10.1016/S1474-4422(21)00364-1
Chitnis T, Arnold DL, Banwell B, et al. Trial of Fingolimod versus Interferon Beta-1a in Pediatric Multiple Sclerosis. N Engl J Med. 2018;379(11):1017-1027. doi:10.1056/NEJMoa1800149
Vermersch P, Scaramozza M, Levin S, et al. Effect of Dimethyl Fumarate vs Interferon β-1a in Patients With Pediatric-Onset Multiple Sclerosis: The CONNECT Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2022;5(9):e2230439. Published 2022 Sep 1. doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.30439
Banwell B, Kotulska-Jozwiak K, Rostásy K, et al. Efficacy and safety of ocrelizumab compared with fingolimod in paediatric relapsing-remitting MS: results of the Phase III OPERETTA 2 study. Presented at ECTRIMS Congress; September 24-26, 2025; Barcelona, Spain. Late-Breaking Abstract O130.