In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki
Magnetresonanztomografie (MRT) ist für Diagnose und Verlaufskontrolle der Multiplen Sklerose (MS) unverzichtbar. Lange galt der Einsatz von gadoliniumhaltigem Kontrastmittel (Gd) als Standard, um entzündliche Aktivität sichtbar zu machen. Doch mit wachsender Sorge über Gd-Ablagerungen im Gehirn und potenzielle Langzeitfolgen wurde dieser Standard in Frage gestellt. Internationale Empfehlungen wie die MAGNIMS-CMSC-NAIMS-Guidelines von 2021 fordern daher: Weniger Gd, gezielter eingesetzt.
Aber wie konsequent wird das wirklich umgesetzt? Und wie verändert sich dadurch der klinische Alltag?
Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden MRT-Daten von 12.833 Patient:innen mit Multipler Sklerose (MS) aus dem Deutschen MS-Register ausgewertet. Insgesamt wurden 23.934 MRT-Untersuchungen aus den Jahren 2019 bis 2024 berücksichtigt. Ziel war es, den zeitlichen Verlauf des Einsatzes gadoliniumhaltiger Kontrastmittel (Gd) im klinischen Alltag zu bewerten – differenziert nach kranialen, spinalen und kombinierten MRTs. Zur Modellierung der Nutzungstrends kamen generalisierte additive Modelle (GAMs) zum Einsatz.
Zwischen 2020 und 2024 zeigte sich ein deutlicher Rückgang des Gd-Einsatzes: Bei kranialen MRTs sank der Anteil der Kontrastmittelanwendungen von 74,2 % auf 41,2 %, bei spinalen Untersuchungen von 78,2 % auf 39,2 % und bei kombinierten Aufnahmen von 81,8 % auf 59,0 % (jeweils p < 0,001). Besonders ausgeprägt war dieser Rückgang in den ersten fünf Jahren nach Krankheitsbeginn – also in einer Phase, in der Gd bislang häufig routinemäßig zur Detektion entzündlicher Aktivität verwendet wurde. Die Daten deuten auf ein verändertes klinisches Verhalten hin: Kontrastmittel werden heute selektiver und weniger pauschal eingesetzt.
Dieser Trend reflektiert die zunehmende Umsetzung der 2021 aktualisierten internationalen Leitlinien (MAGNIMS-CMSC-NAIMS), die den routinemäßigen Einsatz von Gd kritisch hinterfragen. Dabei scheint der diagnostische Erkenntnisgewinn durch Gd in vielen Fällen nicht mehr als zwingend notwendig eingeschätzt zu werden. Gleichzeitig gewinnen alternative MRT-Marker wie das „central vein sign“ oder paramagnetische Randläsionen an Bedeutung. Sie könnten langfristig dazu beitragen, Krankheitsaktivität auch ohne Kontrastmittel zuverlässig abzubilden – wenngleich deren Integration in die klinische Routine derzeit noch begrenzt ist.
Trotz des beobachteten Rückgangs bleibt der Einsatz von Kontrastmitteln in über einem Drittel der MRTs weiterhin bestehen. Ursächlich hierfür könnten verschiedene Faktoren sein: diagnostische Abklärung bei Erstmanifestation ohne Referenzuntersuchung, unklare radiologische Befunde mit Differenzialdiagnosen wie Tumor oder Vaskulitis, atypische oder progrediente Verläufe sowie der Wunsch, entzündliche Aktivität in klinisch nicht eindeutigen Situationen gezielt abzuklären. Eine europaweite Erhebung bestätigt diese Heterogenität: In über 30 % der neurologischen Einrichtungen wird Gd auch bei Verlaufskontrollen routinemäßig eingesetzt – zum Teil aus diagnostischer Vorsicht, zum Teil aus institutioneller Gewohnheit.
Ein gezielterer Einsatz von Gd könnte künftig auch durch serumbasierte Biomarker wie Neurofilament light chain (NfL) ergänzt werden, die Hinweise auf akute entzündliche Aktivität im ZNS liefern. Um das klinische Vorgehen weiter zu präzisieren, sind jedoch zusätzliche Studien erforderlich – insbesondere zu folgenden Fragen: In welchem Maß führt der reduzierte Gd-Einsatz zu Fehldiagnosen oder Diagnosedelays? Wird die Beurteilung des Krankheitsverlaufs oder die Therapieplanung dadurch erschwert? Und wie nehmen Patient:innen die Reduktion wahr – gerade im Hinblick auf bekannte Gd-Rückstände im Gehirn?
Insgesamt zeigt sich, dass der Einsatz gadoliniumhaltiger Kontrastmittel in der MS-Bildgebung heute verantwortungsbewusster und differenzierter erfolgt. Die vorliegenden Daten belegen eine erfolgreiche Umsetzung leitlinienbasierter Empfehlungen. Dennoch bleibt Gd in bestimmten klinischen Situationen weiterhin ein relevantes Werkzeug. Zukünftige Entwicklungen sollten darauf abzielen, alternative bildgebende Marker systematisch zu integrieren und patientenorientierte Entscheidungen weiter zu fördern – im Sinne einer präziseren, risikoärmeren Bildgebung bei Multipler Sklerose.