Myasthenia gravis (MG) ist eine chronische Autoimmunerkrankung, bei der die Kommunikation zwischen Nerv und Muskel gestört ist. Das Immunsystem richtet sich gegen körpereigene Strukturen, meist die Acetylcholinrezeptoren. Es kommt zu belastungsabhängiger Muskelschwäche, Doppeltsehen, Schluckstörungen oder Atemnot. Besonders seltene Subtypen wie LRP4-positive MG sind oft schwer behandelbar und sprechen nur unzureichend auf klassische Immuntherapien an.
Wenn Standardtherapien versagen
Die berichteten Fälle betrafen Patient:innen mit generalisierten und therapierefraktären MG-Verläufen, die trotz intensiver Vortherapien – darunter Kortikosteroide, Immunsuppressiva, Plasmapheresen und monoklonale Antikörper – weiterhin schwere Krankheitsschübe oder myasthene Krisen erlitten. In dieser aussichtslos wirkenden Situation kamen erstmals off-label zwei neuartige Immuntherapien zum Einsatz:
Fall 1: BCMA als Zielstruktur – selektive Elimination antikörperbildender Plasmazellen
Im ersten Fall wurde ein bispezifischer T-Zell-Antikörper gegen BCMA (B-cell maturation antigen) eingesetzt – ein Molekül, das auf Plasmazellen vorkommt, den Hauptproduzenten von Autoantikörpern. Die Patientin mit LRP4-positiver MG erhielt eine Einmalgabe des Antikörpers, der T-Zellen gezielt zu BCMA-tragenden Plasmazellen führte und diese eliminierte.
– Bereits kurz nach der Behandlung zeigte sich eine deutliche klinische Besserung
– Eine Remission konnte erreicht werden – die zuvor therapieresistente Muskelschwäche besserte sich signifikant
– Die Autoantikörpertiter nahmen parallel zur klinischen Stabilisierung ab
Fall 2: CD19xCD3 – Blinatumomab erstmals bei MG eingesetzt
In einer separaten Fallserie erhielten zwei Patient:innen mit schwerer, generalisierter MG den bispezifischen CD19xCD3-Antikörper Blinatumomab, der T-Zellen aktiviert, um CD19-positive B-Zellen zu zerstören. Auch dieses Prinzip ist aus der Hämatoonkologie bekannt.
– Beide Patient:innen zeigten rasch eintretende und anhaltende klinische Verbesserungen
– Objektiv messbar durch Rückgänge in MG-ADL, QMG, MG-QoL-15, sowie digitalen Aktivitätsdaten und Ganganalysen
– Bei einem Patienten kam es zur anhaltenden B-Zell-Depletion, bei dem anderen zur Besserung trotz B-Zell-Rückkehr
– Nebenwirkungen: Nur mildes Zytokinsturm-Syndrom (CRS Grad 1), keine Neurotoxizität oder schweren unerwünschten Ereignisse
Bedeutung und Ausblick
Beide Fälle demonstrieren das Potenzial von bispezifischen T-Zell-Engagern als gezielte Immunmodulatoren bei MG – insbesondere bei therapierefraktären Verläufen. Während der BCMA-Ansatz die Plasmazelle als Quelle der Antikörperproduktion ins Visier nimmt, richtet sich Blinatumomab gegen B-Zellen als Vorläufer im Autoimmunprozess.
Gemeinsam ist beiden Ansätzen:
– Sie ermöglichen eine präzise Immunkorrektur
– Sie greifen tiefer in die Pathophysiologie ein als klassische Immunsuppression
– Sie bieten neue Hoffnung bei Patienten, die sonst keine therapeutische Perspektive mehr haben
Fazit
– Myasthenia gravis im Endstadium ist kein therapeutisches Sackgasse mehr – moderne T-Zell-Engager könnten hier neue Wege öffnen
– Sowohl BCMA- als auch CD19-basierte bispezifische Antikörper zeigen vielversprechende Effekte
– Erste Daten legen eine hohe Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit nahe
– Es braucht nun dringend klinische Studien, um diese Erkenntnisse systematisch zu bestätigen
Diese innovativen Therapien markieren einen Paradigmenwechsel – und könnten künftig auch bei anderen antikörpervermittelten Autoimmunerkrankungen Anwendung finden.
Quellen: Schreiber, S., Al-Dubai, M., Vielhaber, S., Lefterova, L., Dietrich, S., Ruck, T., Meuth, S., Walther, D., & Mougiakakos, D. (2025). Effective Use of BCMA-Targeting Bispecific T-Cell-Engaging Antibody in Treatment Refractory LRP4-positive Myasthenia Gravis. Molecular therapy : the journal of the American Society of Gene Therapy, S1525-0016(25)00480-0. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.ymthe.2025.06.029
Ruck, Tobias et al. CD19xCD3 T-cell engager blinatumomab effective in refractory generalized myasthenic syndromes