Psychiatrische Versorgung für Kinder und Jugendliche in Deutschland: Wo die Wege kurz sind – und wo nicht

Psychische Erkrankungen beginnen häufig bereits im Kindes- und Jugendalter. Depressionen, Angststörungen, Essstörungen oder Suchterkrankungen betreffen hunderttausende junge Menschen in Deutschland. Während strukturierte Behandlungsprogramme existieren, ist bislang unklar, wie gleichmäßig diese Angebote geografisch verteilt sind – und wie schnell betroffene Familien im Notfall tatsächlich Hilfe erreichen können.

Unsere Arbeitsgruppe hat deshalb den geografischen Zugang zu kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in Deutschland systematisch untersucht. Besonderes Augenmerk lag auf spezialisierten Suchtkliniken, die in der Versorgung junger Patientinnen und Patienten eine Schlüsselrolle spielen, bislang aber nur sehr begrenzt verfügbar sind.

Dafür haben wir alle bekannten Einrichtungen erfasst – darunter Ambulanzen, stationäre Abteilungen, Tageskliniken und spezialisierte Suchtkliniken – und berechnet, in welchem Umkreis sie mit dem Auto in 30, 60, 90 oder 120 Minuten erreichbar sind. Diese sogenannten Isochronen wurden anschließend mit aktuellen Bevölkerungsdaten kombiniert, sodass wir präzise abschätzen konnten, wie viele Menschen in den jeweiligen Zeiträumen Zugang zu einer Einrichtung haben.

Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild. Insgesamt können 98 Prozent der Bevölkerung innerhalb von einer Stunde eine kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtung erreichen, was auf eine relativ gute Grundversorgung hinweist. Deutlich schlechter sieht es jedoch bei den spezialisierten Suchtkliniken aus: Nur rund 60 Prozent der Bevölkerung haben innerhalb von 60 Minuten Fahrzeit Zugang zu einer solchen Einrichtung. Auch bei längeren Zeiträumen bleibt die Abdeckung lückenhaft, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen wie im Nordosten Deutschlands.

Diese Unterschiede sind besonders bedeutsam, weil die Zahl jugendlicher Patientinnen und Patienten mit substanzbezogenen Störungen in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Hier trifft ein wachsender Bedarf auf ein deutlich unterrepräsentiertes Versorgungsangebot. In Krisensituationen, bei denen schnelle Hilfe entscheidend sein kann, führen lange Anfahrtswege unweigerlich zu Verzögerungen und bergen damit ein zusätzliches Risiko für die Betroffenen.

Unsere Analyse macht deutlich, dass die Versorgungslage in Deutschland zwar insgesamt solide ist, aber klare Defizite aufweist, wenn es um spezialisierte Behandlungen geht. Die Ergebnisse zeigen auch, dass strukturelle Unterschiede – insbesondere zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen – weiterhin eine zentrale Herausforderung darstellen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Versorgung gezielt auszubauen, innovative Modelle wie Home Treatment oder Telepsychiatrie einzusetzen und Fahrzeit-Analysen wie die unsere künftig systematisch in die Versorgungsplanung einzubeziehen.

Damit liefert unsere Arbeit erstmals eine belastbare Grundlage, um Versorgungslücken in der Kinder- und Jugendpsychiatrie datenbasiert zu identifizieren und politische wie organisatorische Maßnahmen gezielt an den Stellen einzuleiten, an denen sie den größten Nutzen entfalten können.

Quelle: Masanneck L, Repple J, Meuth SG, Holtmann M, Föcker M, Pawlitzki M. Analyzing Access to Child and Adolescent Psychiatric Care Institutes in Germany Based on Driving Time. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother. 2025 Aug 4. doi: 10.1024/1422-4917/a001037. Epub ahead of print. PMID: 40758319.