Therapie-Wechsel bei MS: Was bringt der Switch zwischen Anti-CD20-Antikörpern und Cladribin?

Multiplen Sklerose. Beide richten sich in unterschiedlicher Weise gegen B-Zellen und gelten als hochwirksam bei aktiver Erkrankung. Dennoch gibt es immer wieder Patientinnen und Patienten, bei denen trotz dieser Therapien weiterhin Krankheitsaktivität auftritt – oder bei denen die langfristige Sicherheit zum Problem wird, etwa durch Infektionen oder Hypogammaglobulinämie unter langjähriger Anti-CD20-Therapie. Genau hier setzt eine neue multizentrische deutsche Studie an, die den gezielten Wechsel zwischen Anti-CD20 und Cladribin in der Versorgungspraxis untersucht hat.

In sechs MS-Zentren wurden 90 Menschen mit aktiver RMS identifiziert, 71 erfüllten alle Einschlusskriterien und wurden ausgewertet. 31 von ihnen wechselten von einer Anti-CD20-Therapie auf Cladribin, 40 gingen den umgekehrten Weg – von Cladribin zu einem Anti-CD20-Antikörper. Alle wurden mindestens ein Jahr nachverfolgt. Auffällig war, dass die Gruppe, die von Anti-CD20 auf Cladribin umgestellt wurde, im Mittel älter war, eine längere Krankheitsdauer und einen höheren Behinderungsgrad aufwies. Der Anti-CD20 → Cladribin-Switch erscheint also vor allem als Option für eine eher „gereifte“ MS-Kohorte, in der langfristige Sicherheitsaspekte besonders ins Gewicht fallen. Hauptgrund für den Wechsel in beiden Richtungen war jedoch klar: anhaltende Krankheitsaktivität.

Nach der Umstellung zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Schubaktivität. In der Gruppe Anti-CD20 → Cladribin sank der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Schüben von 55 auf 16 Prozent, in der Gruppe Cladribin → Anti-CD20 von 83 auf 25 Prozent. Die meisten erreichten damit eine klinische Stabilisierung. Parallel wurden Serum-Biomarker wie Neurofilament-Leichtketten und GFAP verfolgt, die Aufschluss über neuroaxonale Schädigung und astrogliale Aktivierung geben. Über sechs Monate nach dem Wechsel blieben diese Parameter im Mittel stabil – ein wichtiges Signal dafür, dass die klinisch beobachtete Besserung nicht von einem verdeckten strukturellen Schaden überlagert wurde.

Besonders interessant ist der Blick auf die Immunglobuline. Unter langjähriger Anti-CD20-Therapie ist Hypogammaglobulinämie ein zunehmendes Thema, vor allem bei älteren und multimorbiden Patientinnen und Patienten. In der vorliegenden Kohorte nahm die Häufigkeit der Hypogammaglobulinämie nach dem Wechsel von Anti-CD20 auf Cladribin ab. Das stützt die Überlegung, Cladribin als eine Art „Exit-Therapie“ zu nutzen: weg von der permanenten B-Zell-Depletion mit zunehmendem Infektionsrisiko, hin zu einem zeitlich begrenzten Immunrekonstitutionsansatz, der in der Regel seltener mit relevanten Immunglobulinabsenkungen einhergeht. Umgekehrt zeigte sich auch der Wechsel von Cladribin auf Anti-CD20 als sinnvolle Option bei Patientinnen und Patienten, bei denen unter Cladribin erneut Krankheitsaktivität auftrat oder die Lymphopenie zur Limitation wurde.

Immunologisch ist das plausibel: Anti-CD20-Antikörper sorgen für eine kontinuierliche Depletion CD20-positiver B-Zellen, während Cladribin als orale Immunrekonstitutionstherapie bestimmte Lymphozyten-Subsets tief, aber zeitlich begrenzt reduziert und das Immunsystem anschließend in einer veränderten Zusammensetzung „neu aufsetzt“. Wenn unter einer dieser Strategien ein „biologischer Durchbruch“ der Erkrankung oder eine nicht mehr akzeptable Nebenwirkungsdynamik auftritt, kann der Wechsel auf die jeweils andere B-Zell-zentrierte Strategie das System anders modulieren, ohne das Prinzip der hochwirksamen Therapie zu verlassen. Die Daten dieser Kohorte sprechen dafür, dass sich Cladribin und Anti-CD20 in ihrer Wirkung eher ergänzen als nur dasselbe in anderer Verpackung leisten.

Natürlich bleiben Einschränkungen: Die Auswertung ist retrospektiv, ohne randomisierte Kontrollgruppe, und mit 71 Patientinnen und Patienten kein gigantisches Dataset. Fragen nach optimalem Timing des Wechsels, idealen Sequenzen und langfristiger Sicherheit – insbesondere bei sehr alten und multimorbiden Menschen – bleiben offen. Trotzdem ist die Botschaft für den Alltag klar: Der gezielte Switch zwischen Anti-CD20-Antikörpern und Cladribin ist in der realen Versorgungspraxis machbar, oft wirksam und kann helfen, die Balance zwischen Krankheitskontrolle und Langzeitsicherheit neu auszutarieren – gerade in einer MS-Population, die älter wird und bei der Komorbiditäten und Immunseneszenz zunehmend den Takt vorgeben.

Quelle: Konen, F. F., Pfeuffer, S., Jendretzky, K. F., Gehring, K., Elias-Hamp, B., Sühs, K. W., Halle, S., Brand, K., Lichtinghagen, R., Willemse, E., Pawlitzki, M., Kuhle, J., Meuth, S. G., Kleinschnitz, C., Pul, R., & Skripuletz, T. (2025). Switching from anti-CD20 therapies to cladribine and vice versa – Analysis of a German relapsing multiple sclerosis cohort. Neurotherapeutics : the journal of the American Society for Experimental NeuroTherapeutics, e00812. Advance online publication.