Wie gut ist Deutschland aufgestellt bei neurovaskulären Notfällen? Eine Analyse zur Erreichbarkeit zertifizierter Zentren

In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki

Moderne endovaskuläre Verfahren wie die Thrombektomie haben die Behandlung von Schlaganfällen revolutioniert – allerdings nur, wenn sie schnell erfolgen. Um eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität zu sichern, zertifiziert die Deutsche Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (DeGIR) spezialisierte Zentren für Schlaganfallbehandlung (Modul E), Gefäßanomalien (Modul F) sowie kombinierte neurovaskuläre Therapiezentren (Modul EF). Doch wie gut erreichbar sind diese Einrichtungen wirklich?

In einer aktuellen Studie unserer Klinik sowie der Klinik für Radiologie wurde mithilfe sogenannter Isochronen – also Fahrzeitkarten – die Erreichbarkeit dieser zertifizierten Zentren analysiert. Grundlage waren dabei reale Straßen- und Verkehrsbedingungen sowie Bevölkerungsdaten für das Jahr 2025.

Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick:

  • Zugang innerhalb einer Stunde: Für Modul E (Schlaganfallzentren) leben 92,8 % der Bevölkerung in erreichbarer Nähe (unter 60 Minuten Fahrzeit). Für Modul F (Gefäßanomalien) sind es 84,3 %, für kombinierte Zentren (EF) 86,4 %.
  • Geografische Lücken bestehen vor allem in Nordostdeutschland, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und im Südwesten – besonders bei den Modulen F und EF.
  • Nahezu flächendeckende Versorgung besteht bei einer Fahrzeit von bis zu 120 Minuten – allerdings ist das bei Notfällen wie Schlaganfall oft zu spät.
  • Unterschiede nach Bundesländern: Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg und Bremen zeigen fast vollständige Abdeckung schon bei kurzen Fahrzeiten, während ländliche Flächenländer teils deutlich schlechter abschneiden. Besonders geringe Erreichbarkeit wurde in Mecklenburg-Vorpommern (nur 18 % in 60 Minuten bei EF-Zentren) festgestellt.

Was bedeutet das für die Versorgung?

Die Studie zeigt deutlich: Zwar ist Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt – insbesondere bei der Schlaganfallversorgung –, dennoch bestehen kritische Versorgungslücken in ländlichen Regionen. Diese können gravierende Auswirkungen auf Patient:innen haben, denn beim Schlaganfall zählt jede Minute. Studien zeigen, dass bereits vier Minuten Zeitersparnis einen relevanten Unterschied im Behandlungserfolg machen können.

Was könnte helfen?

Neben dem gezielten Ausbau zertifizierter Zentren sind ergänzende Maßnahmen notwendig. Dazu gehören:

  • Telemedizinische Unterstützung zur schnellen Diagnostik vor Ort.
  • Spezialisierte Transportmodelle wie „Drip-and-Ship“ oder „Drive-the-Doctor“, deren Nutzen jedoch regional unterschiedlich ausfällt.
  • Bessere Planung bei der Zentrumsvergabe und Zertifizierung, um bereits bestehende Lücken zu schließen – etwa durch Anerkennung leistungsstarker, bislang nicht zertifizierter Kliniken.

Fazit

Die Erreichbarkeit spezialisierter neurovaskulärer Zentren ist in Deutschland grundsätzlich gut, aber noch nicht überall gerecht verteilt. Die vorgestellte Analyse liefert wertvolle Hinweise für die Gesundheitsplanung und zeigt auf, wo konkrete Maßnahmen erforderlich sind, um eine flächendeckend hochwertige Versorgung sicherzustellen – auch in Notfällen.

Quelle: Vach M, Rubbert C, Caspers J, Meuth SG, Pawlitzki M, Masanneck L. Isochrone-based Identification of Gaps in Neurovascular Care in Germany. Clin Neuroradiol. 2025 Jun 26. doi: 10.1007/s00062-025-01537-0. Epub ahead of print. PMID: 40571758.