Neues zur Dissektion der hirnversorgenden Arterien

In Zusammenarbeit mit Robin Jansen

Etwa ein Prozent aller ischämischen Schlaganfälle sind auf eine Dissektion einer Halsschlagader zurückzuführen. In der Altersgruppe der unter 50-jährigen Schlaganfallpatienten ist eine Dissektion der Halsschlagader für ein Viertel aller Schlaganfälle verantwortlich. 1

Was passiert bei einer Dissektion der Halsschlagader? Pathophysiologisch beginnt eine Dissektion mit einem Einriss der innersten Schicht der Gefäßwand (Tunica intima). Dies kann spontan (ohne bekannte Ursache) oder durch eine Verletzung des Gefäßes (traumatisch) geschehen. Wie die Rinde eines Baumes ragt nun die innere Schicht der Gefäßwand in das Gefäß hinein. Zwischen der inneren Gefäßwand und der eigentlichen Gefäßwand bildet sich ein Bluterguss (Hämatom) und das angesammelte Blut gerinnt (Thrombose). Symptomatisch äußert sich dies durch neu aufgetretene Schmerzen im Kopf-/Halsbereich oder durch ein hängendes Augenlid mit verengter Pupille (Horner-Syndrom). Ein Riss in der Gefäßwand kann aus verschiedenen Gründen problematisch sein: Je nach Größe des Hämatoms kann es zu einer Verengung der Halsschlagader oder zur Bildung von Blutgerinnseln kommen, die in das Gehirn geschwemmt werden und dort zum Verschluss einer hirnversorgenden Arterie und damit zu einem Schlaganfall führen (Embolie).

Für die Akuttherapie eines Schlaganfalls durch eine Dissektion steht in Abhängigkeit von Symptomatik und Notfallbildgebung (CT oder MRT) mit einer intravenösen Lysetherapie, Thrombektomie und in Einzelfällen der kathetergesteuerten Stentimplantation die gesamte Bandbreite der Notfalltherapie zur Verfügung.

Die Studienlage zur idealen medikamentösen Hemmung der Blutgerinnung ist jedoch nicht eindeutig.

Zur Verfügung stehen auf der Seite der Thrombozytenaggregationshemmer (Antiaggregation) eine Monotherapie mit ASS 100 mg / Tag sowie eine duale Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS und Clopidogrel und auf der Seite der Gerinnungshemmer (Antikoagulation) Vitamin-K-Antagonisten wie Marcoumar, Heparine und direkte orale Antikoagulanzien (DOAK). Ziel einer solchen Therapie ist die Reduktion neuer ischämischer Schlaganfälle sowie möglichst weniger relevanter Blutungsereignisse wie Hirnblutungen oder Magen-Darm-Blutungen unter Therapie.  Welche Therapieform ist nun am besten geeignet? Zu dieser Frage wurden in den letzten Jahren zwei große randomisierte Studien durchgeführt: Die CADISS-Studie mit 250 Patienten und die TREAT-CAD-Studie mit 194 Patienten. In CADISS wurden die teilnehmenden Patienten innerhalb von vier Tagen entweder einer ASS- oder einer Vitamin-K-Antagonisten-Therapie zugeteilt. Mit 2,4 % ischämischen Schlaganfällen in der ASS-Gruppe und 0,8 % in der Vitamin-K-Antagonisten-Gruppe ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied, ebenso wenig für die Rate der nachfolgenden Hirnblutungen von 0 % in der ASS-Gruppe und einer Hirnblutung in der Antikoagulationsgruppe. Das Ergebnis dieser Studie war, dass aufgrund der erhobenen Daten keine Aussage über statistisch signifikante Unterschiede gemacht werden konnte. Die TREAT-CAD-Studie verglich ebenfalls die orale Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten bei Patientinnen mit Dissektion der hirnversorgenden Arterien und zeigte ein ähnliches Ergebnis mit 7% ischämischen Schlaganfällen unter  medikamentöser Plättchenhemmung und keinem in der Antikoagulanziengruppe sowie einer Hirnblutung in der oralen Antikoagulationsgruppe. 3, 4

Eine am 13. Mai 2024 in JAMA Neurology publizierte Meta-Analyse aus den Die Daten der TREAT-CAD- und CADISS-Studien bestätigt, dass auf der Grundlage der Studiendaten keine Überlegenheit der oralen Antikoagulation oder Antiaggregation gezeigt werden kann. 4

Im April 2024 wurden die Ergebnisse der internationalen multizentrischen Studie STOP-CAD veröffentlicht.  An der Studie waren 63 Zentren aus 16 Ländern beteiligt.  Eingeschlossen wurden 4023 Patienten, von denen 3636 die Einschlusskriterien erfüllten. Die Patienten wurden für eine Beobachtungsdauer von 180 Tagen in drei Gruppen eingeteilt: 2.453 Patienten erhielten Thrombozytenaggregationshemmer, davon 535 eine duale Therapie, 402 eine orale Antikoagulation und 781 Patienten wurden sowohl mit Thrombozytenaggregationshemmern als auch mit oraler Antikoagulation behandelt. Die Therapie wurde nach Diagnose eingeleitet und ein ischämischer Schlaganfall im Rahmen der Notfallbehandlung wurde nicht gezählt.  Die Antikoagulation umfasste alle Formen der therapeutischen Antikoagulation (intravenöses Heparin, subkutanes therapeutisches Heparin, direkte orale Antikoagulanzien und Vitamin-K-Antagonisten). Als Thrombozytenaggregationshemmer wurden einfache und doppelte Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt. Ausgeschlossen wurden Patienten mit schwerem Trauma, schwerer traumatischer Dissektion, iatrogener Dissektion oder Patienten mit Subarachnoidalblutung. Der primäre Endpunkt war der ischämische Schlaganfall im Stromgebiet der betroffenen Arterie nach diagnostizierter Dissektion und begonnener Therapie. Der Sicherheitsendpunkt waren schwere Blutungen. Schwere Blutungen umfassten sowohl symptomatische intrakranielle Blutungen als auch schwere extrakranielle Blutungen.

Im Laufe der Studie kam es bis Tag 180 zu 162 neuen ischämischen Schlaganfällen (4,4%) und 28 schweren Blutungen (0,8%). Die überwiegende Mehrheit dieser Schlaganfälle, 87 %, trat innerhalb der ersten 30 Tage auf. Die statistische Auswertung ergab keinen signifikanten Unterschied zwischen oraler Antikoagulation oder Antiaggregation für den ischämischen Schlaganfall nach 30 Tagen und 180 Tagen. Es zeigte sich zudem kein signifikanter Unterschied in der Anzahl der Schlaganfälle bei Patienten unter oraler Antikoagulation oder unter doppelter Thrombozytenaggregationshemmung. Patienten mit oraler Antikoagulation zeigten signifikant häufiger schwere Blutungsereignisse an Tag 180, nicht aber an Tag 30 oder 90. Interessanterweise zeigte sich in einer Subgruppenanalyse ein statistisch signifikant niedrigeres Risiko ischämischer Schlaganfälle bei Patienten mit einer Dissektion welche das Gefäß verschließen (okklusiver Dissektion) und eine orale Antikoagulation erhielten.  Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus den Studiendaten ableiten: 1. Für die Wahl der optimalen medikamentösen Gerinnungshemmung bei Patienten mit Dissektion einer hirnversorgenden Arterie ist eine individuelle Risikostratifizierung mit bildgebenden Verfahren notwendig. 2. Patienten mit okklusiver Dissektion profitieren von einer oralen Antikoagulation und 3. Eine orale Antikoagulation länger als 90 Tage geht mit einem erhöhten Risiko für relevante Blutungsereignisse einher. 

Weitere Studien mit größerer Studienpopulation sind notwendig um die erhobenen Ergebnisse zu validieren. 5

Quellen:

1:  Griffin, Kim J., et al. „Epidemiology of Spontaneous Cervical Artery Dissection: Population-Based Study.“ Stroke 55.3 (2024): 670-677.

2: Engelter, Stefan T., et al. „Aspirin versus anticoagulation in cervical artery dissection (TREAT-CAD): an open-label, randomised, non-inferiority trial.“ The Lancet Neurology 20.5 (2021): 341-350.

3: CADISS Trial Investigators. „Antiplatelet treatment compared with anticoagulation treatment for cervical artery dissection (CADISS): a randomised trial.“ The Lancet Neurology 14.4 (2015): 361-367.

4: Kaufmann, Josefin E., et al. „Antithrombotic treatment for cervical artery dissection: An individual patient data meta-analysis of the CADISS and TREAT-CAD randomized trials.“ (2024).

5: Yaghi, Shadi, et al. „Antithrombotic treatment for stroke prevention in cervical artery dissection: the STOP-CAD study.“ Stroke 55.4 (2024): 908-918