Immuntherapie bei Radiologisch isoliertem Syndrom?

In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki

Die Behandlung des Radiologisch isolierten Syndroms (RIS) stellt uns im klinischen Alltag vor zunehmende Herausforderungen. Der relativ niedrigschwellige Einsatz von kernspintomographischen Untersuchungen zur Differentialdiagnostik von bspw. Kopfschmerzen oder Schwindel führt zu dem zunehmenden Phänomen des radiologisch geäußerten V.a. auf eine Multiple Sklerose (MS). Die dann meist eingeleitete diagnostische Evaluation ergibt dann glücklicherweise nur in wenigen Fällen eine Befundkonstellation, die formal die internationalen Kriterien für ein RIS erfüllt. Konkret sind hierfür MS typische Demyelinisierungsherde in der zerebralen und spinalen MRT Diagnostik bei Abwesenheit einer Schubsymptomatik in der Vergangenheit gefordert (1).

In nicht wenigen Fällen können zusätzlich oligoklonale Banden (OKB) im Liquor detektiert werden, sodass dann am ehesten auch der Begriff „präklinische Multiple Sklerose“ greifen könnte. Denn ein nicht unerheblich geringer Teil der Betroffenen erlebt in den Folgejahren dann eine Schubsymptomatik und somit die Konversion zu einer MS. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Betroffene eine radiologische Progression entwickeln ohne klar abgrenzbares Schubereignis.

Dadurch ergibt sich ein therapeutisches Dilemma. Insbesondere die dargestellte Risikokonstellation mit MS typischen Läsionen, dem Nachweis von OKBs und im ungünstigen Falle einer weiteren Befunddynamik in den kernspintomographischen Untersuchungen, gar keine Kontrastmittelaufnahme oder spinale Manifestation, führt letztlich zu der eigentlich notwendigen Diskussion eines früheren Einsatz verlaufsmodifizierender Immuntherapien. Hierfür haben jedoch die bisherigen Immuntherapien weder eine Zulassung, noch lag bisher eine entsprechende Evidenz für eine frühzeitigen Einsatz vor.

In einer erst kürzlich veröffentlichten multizentrischen Studie wurde nun Dimethylfumarat (DMF) bei entsprechenden RIS Betroffenen Placebo-kontrolliert eingesetzt (2).  Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum Auftreten klinischer Symptome, die auf ein demyelinisierendes Ereignis im Sinne einer klinischen Erstmanifestation einer MS innerhalb einer Nachbeobachtungszeit von 96 Wochen zurückzuführen waren.

Insgesamt wurden 77 Personen eingeschlossen, wobei 44 Personen randomisiert DMF und 43 Placebo erhielten. Unter DMF-Behandlung war das Risiko eines ersten klinischen demyelinisierenden Ereignisses während des 96-wöchigen Studienzeitraums deutlich reduziert (Hazard Ratio [HR] = 0,18, 95 %-Konfidenzintervall [CI] = 0,05– 0,63, p = 0,007). Schwere Nebenwirkungen traten in der DMF-Gruppe nicht vermehrt auf.

Zusammengefasst liefert diese Studie erste Hinweise für einen frühen Einsatz einer Immuntherapie bei RIS Betroffenen, die im klinischen Alltag Berücksichtigung finden sollten. Dennoch ist insbesondere die kritische Differentialdiagnostik weiterhin notwendig, um konkurrierende Ursachen für MS anmutende Entzündungsherde auszuschließen. Hierbei sollte vor allem kritisch die Konfiguration und Lokalisation der Läsionen geprüft werden, um Fehldiagnosen zu vermeiden (3). Auch für den Einsatz von Teriflunomid bei RIS Betroffenen wurden erst kürzlich positive Resultate aus der TERIS Studie (NCT03122652) auf der diesjährigen AAN Jahrestagung in Boston präsentiert (Lebrun-Frenay C, et al. Teriflunomide (Aubagio) extends the time to multiple sclerosis in radiologically isolated syndrome: The TERIS study. Session ES2.010, AAN 2023 Annual Meeting, 22–27 April, Boston, USA).

1.            Lebrun-Frenay C, Okuda DT, Siva A, et al.: The radiologically isolated syndrome: revised diagnostic criteria. Brain 2023.

2.            Okuda DT, Kantarci O, Lebrun-Frenay C, et al.: Dimethyl Fumarate Delays Multiple Sclerosis in Radiologically Isolated Syndrome. Ann Neurol 2023; 93: 604-14.

3.            Hosseiny M, Newsome SD, Yousem DM: Radiologically Isolated Syndrome: A Review for Neuroradiologists. AJNR Am J Neuroradiol 2020; 41: 1542-9.